Stadtunruhen waren in der europäischen Frühen Neuzeit ein weit verbreitetes und häufig zu beobachtendes Phänomen. Die Grundkonstellation der dahinterstehenden Konflikte ist in vielen Fällen durch die Formel „Rat vs. Bürgerschaft“ beschreibbar, nicht selten zeigten sich aber sowohl Rat als auch Bürgerschaft ihrerseits gespalten. Auslöser konnten konfessionelle Gegensätze sein, Beschwerden über Misswirtschaft und Korruption oder auch unterschiedliche Ansichten über die Basisregeln der politischen Gemeinschaft: Während Stadträte sich zunehmend als selbständige Obrigkeiten verstanden und dementsprechend Gehorsam einforderten, sahen viele Bürger den Stadtrat eher in der Position eines Treuhänders oder Interessenvertreters im Verhältnis zum eigentlichen Stadtherren (Reichsfürsten oder Kaiser). Die Bürger gingen zudem davon aus, dass der Rat ihnen gegenüber eine Rechenschaftspflicht habe. Wo diese Ansprüche nicht erfüllt wurden, konnten verschiedene Protestformen bis hin zum bewaffneten Widerstand zum Einsatz kommen.
Anknüpfend an das in der historischen Forschung entwickelte Konzept der „Verrechtlichung“ soll untersucht werden, wie sich die Mechanismen zur Beilegung solcher Streitigkeiten zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert veränderten. Über lange Zeit sind Konflikte zwischen Rat und Bürgerschaft zunächst weiterhin durch interne Schlichtung oder unter Hinzuziehung externer Mediatoren beigelegt worden; solche Methoden wurden auch nicht ganz aufgegeben. Im Verlauf des 17. Jahrhunderts sind allerdings immer häufiger kaiserliche Kommissionen oder der Reichshofrat beteiligt, und auch das Reichskammergericht verzeichnete in diesem Feld eine Zunahme an Aktivitäten.
Ein besonderer Schwerpunkt des Projekts liegt auf der Analyse der von den jeweiligen Teilnehmern gewählten (oder durch externe Faktoren vorgegebenen?) Handlungsoptionen sowie der Interpretation der dabei verwendeten politischen und juristischen Argumentationsmuster. In welchen Fällen erwiesen sich bestimmte Konfliktlösungsmodelle wie z.B. die Einsetzung eines Bürgerausschusses als funktional und effektiv, in welchen Fällen nicht? Lassen sich bestimmte Faktoren identifizieren, die als entscheidend für Erfolg oder Misserfolg anzusehen sind? Und welche normativen Vorstellungen begründeten schließlich das Verhalten aller Beteiligten? Diese Fragen sollen auf einer möglichst breiten Quellengrundlage bei gleichzeitiger Konzentration auf einige ausgesuchte Fallbeispiele beantwortet werden.