„Frieden durch Recht“ unter diesem Motto hat die Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung das Wirken des höchsten Gerichts zusammengefasst. Sie will damit ausdrücken, dass das Gericht, das als Reaktion auf ein umfassendes Fehdeverbot errichtet wurde, eine echte Alternative zur streitigen Konfliktlösung bot. Das Reichskammergericht eröffnete damit auch den Untertanen die Möglichkeit, ihre Herrschaft vor Gericht zu zwingen.
In diesem Zusammenhang hat Winfrid Schulze schon 1975 die These formuliert, dass die sozialen und politischen Auseinandersetzungen nach dem Bauernaufstand 1525 „verrechtlicht“ (W. Schulze, Bäuerlicher Widerstand und feudale Herrschaft, 1981, bes. S. 78-85) worden seien. Statistische Aussagen zum Reichskammergericht belegen diese These. So kann Filippo Ranieri feststellen, dass die kammergerichtlichen Verfahren von Untertanen gegen ihre Herrschaft am Ende des 16. Jahrhunderts zunehmen. Sie machen in den Jahren 1587 bis 1589 fast 8 % aller Verfahren aus (F. Ranieri, Recht und Gesellschaft, Bd. I, 1985, S. 234). Dieser Trend setzt sich auch in den folgenden Jahrhunderten fort. So klagen besonders viele Ortschaften in den ersten vierzig Jahren nach dem Dreißigjährigen Krieg. Im 18. Jahrhundert reduzierte sich der Anteil. Es gibt nur wenige Spitzen im Zeitraum von 1730 bis 1739 und von 1790 bis 1799, wohl als Reaktion auf die Französische Revolution (A. Baumann, Die Gesellschaft der Frühen Neuzeit, 2001, S. 72f.).
Nicht zuletzt waren diese Hinweise Anregung genug, dass eine ganze Reihe von Untersuchungen zu Untertanenprozessen entstanden. Diese Forschungen zeigen aber auch, dass sich nicht immer alle Akteure auf den Rechtsweg beschränkten, sondern zum Teil ein stattliches Repertoire an friedlichen, aber auch gewaltsamen Mitteln entwickelten, um ihre Interessen durchzusetzen. Der Weg zum Gericht hing von vielen Faktoren ab, wie der allgemeinen Gewaltbereitschaft und dem Vertrauen in die Gerichtsbarkeit, aber auch von der Ausgestaltung des Gerichtsverfahrens, der Dauer, seinen Kosten, der Durchsetzungsfähigkeit, der Kontakte zum Kaiser, oder der geopolitischen Ausgangslage in den Kleinterritorien etc., aber auch von den konkreten Umständen, die alternative Wege zur Konfliktlösung aufzeigen konnten. Teilweise wurden gerichtliche und außergerichtliche Konfliktbewältigungen gleichzeitig betrieben. So zeigen Bernhard Diestelkamps Studien zur Gemeinde Freienseen und ihrem Streit mit den Grafen von Solms-Laubach, dass erst nach einem 1639 in Marburg außergerichtlich geschlossenen Vergleich die Inhalte der Entscheidungen des Reichskammergerichts akzeptiert wurden, da nur der Vergleich sowohl dem Willen des Grafen als auch der Gemeinde entsprach. Diestelkamp kann auch zeigen, dass die direkte Hinwendung zum Kaiser ein nicht selten benutztes, wenn auch ineffektives Mittel der Untertanen war, um die Rechtsprechung an einem Gericht zu beeinflussen zu versuchen (Bernhard Diestelkamp, Ein Kampf um Freiheit und Recht, 2012).
Auch bei städtischen Konflikten wurde Befriedung meist nicht nur durch ein Gerichtsurteil erreicht, sondern erst durch einen Vergleich zwischen Rat und Bürgerschaft, der jedoch ohne die Vermittlung von Reichskammergericht und zum Teil auch dem Reichshofrat und den eingesetzten Kommissionen so nicht geschlossen worden wäre (R. Sailer, Untertanenprozesse, in: Zeitenblicke 3 (2004), Nr. 3).
Die Ausführung zeigt, dass ein umfangreiches Repertoire an Konfliktlösungsmöglichkeiten sowohl im gerichtlichen, aber auch im außergerichtlichen Bereich zur Verfügung stand, oft sich sogar beide Bereiche mischten. Um dies genau darstellen zu können und gleichzeitig die Vergleichbarkeit zu allen anderen Teilprojekten zu gewährleisten, sollen die Untersuchung folgende Fragestellungen leiten:
Zuerst muss nach der Zahl und Herkunft der Akteure gefragt werden. Danach gilt es, die Frage nach den Kosten, die für den Streit aufgebracht werden mussten, zu klären. Wer war bereit, zu bezahlen und wie wurde bezahlt? Welche Rolle spielte das schon 1495 am Reichskammergericht eingeführte Armenrecht?
Daran schließen sich die Fragen an: Wie lange dauerten die Verfahren? Wie nachhaltig war die Konfliktlösung? Wer überprüfte die Effizienz der Durchsetzung der Entscheidungen? Welche Bedingungen waren nötig, dass Entscheidungen auch von allen Akteuren akzeptiert wurden?
Auch Formen der außergerichtlichen Streitkultur müssen berücksichtigt werden. So gab es z. B. passiven Widerstand seitens der Untertanen, aber auch Gewalteinsatz seitens der Herrschaft sowie verschiedene Möglichkeiten der Einschaltung der Medien. Zu Fragen ist also auch, welche Formen des Austrags standen wem zur Verfügung? Und wie wurden sie realisiert?
Als Grundlage soll eine Bibliographie der Literatur zu Untertanenprozessen erarbeitet werden, anhand deren ein vorläufiges Raster der verschiedenen Handlungsmöglichkeiten aufzustellen ist. Zu einem späteren Zeitpunkt können gezielte Archivstudien die Datenmenge erweitern. Dabei wird zu beachten sein, dass die gerichtliche Konfliktlösung sehr viel breitere Spuren in den Archiven hinterlassen hat, während außergerichtliche Alternativen wohl eher nur zufällig zu finden sind.
Weitere Probleme und Schwierigkeiten werden sich auf der Begriffsebene stellen. So ist zu prüfen, wie „außergerichtliche Wege zur Konfliktlösung“ in der Vormoderne definiert werden können.
Das Ziel ist es, Vor- und Nachteile sowie Dauerhaftigkeit oder Flüchtigkeit der gefundenen Regelungen bei Konflikten zwischen Untertanen und Herrschaft bei der Inanspruchnahme von Gerichten oder anderen Wegen der Konfliktregelung miteinander zu vergleichen. Letztendlich ist zu fragen: Frieden durch Recht – zu welchem Preis?